Selbstverständnis
Seit dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023 fehlt es auch in der Schweiz an universeller feministischer und queerer Solidarität. So wurde beispielsweise den israelischen Menschen, die sexualisierte Gewalt erlebt haben, in manchen Kreisen nicht geglaubt. Gleichzeitig erschüttert uns der Krieg in Gaza. Zehntausende wurden getötet. Auch hier erfahren Menschen, besonders Frauen, Mädchen und Queers sowie behinderte und chronisch kranke Personen Gewalt. Wir erkennen den Schmerz und die Trauer all dieser Menschen an. Das Leiden der einen darf nicht gegen das Leiden der anderen aufgerechnet werden.
Der Krieg hat auch in der Schweiz zu einer massiven Zunahme antisemitischer Gewalt geführt. In vielen linken, feministischen und queeren Räumen wird geschwiegen. An Veranstaltungen und Demonstrationen werden verkürzte Narrative und antisemitische Parolen verbreitet. Haben jüdische Personen sich schon vorher nicht sicher in solchen Räumen gefühlt, werden sie nun aktiv ausgeschlossen. Für das Kollektiv feministisch*komplex ist dieser Zustand untragbar.
Die Thematisierung antisemitischer Gewalt darf nicht der Rechten überlassen werden. Diese lenkt vom eigenen Antisemitismus ab und nutzt die Gelegenheit, um rassistische Politiken durchzusetzen. Dabei ist klar: Antisemitismus ist kein Import-Produkt. Es gibt ihn wie Rassismus, Queerfeindlichkeit und Ableismus überall. Leerstellen in der eigenen Solidarität anzugehen ist heute wichtiger denn je.
Als Queers und Feminist*innen halten wir am «guten Leben für alle» fest. Queerfeministisch zu arbeiten bedeutet für uns universelle Solidarität. Solidarität darf nicht selektiv sein. Feministisch*komplex will dazu aus queerfeministischer, antisemitismus- und rassismuskritischer sowie antiableistischer Perspektive eine differenzierte Debatte ermöglichen.
Gleichzeitigkeiten aushalten, verkürzte Gut-Böse-Erzählungen hinterfragen, Komplexität nicht als Ausrede, sondern als Herausforderung betrachten: Das gehört für uns zum Queerfeminismus dazu.
Wir leben in einem Land, das von einer rechtsbürgerlichen Mehrheit regiert wird. Insbesondere die Rechte von Geflüchteten, trans Personen und behinderten Menschen stehen hier ständig unter Beschuss. Antisemitische Gewalt wird von Rechts instrumentalisiert, um Repressionen gegen linke und muslimische Menschen durchzusetzen. Der eigene Antisemitismus, wie man ihn zum Beispiel in den letzten Jahren an sogenannten Corona-Demos erlebt hat, wird dabei unter den Teppich gekehrt. In solchen Zeiten müssen wir zusammenhalten, um gemeinsam gegen die politische Bedrohung des Fasschismus zu bestehen.
Wir laden euch ein, an euren eigenen Leerstellen zu arbeiten, sei es beim Thema Antisemitismus, aber auch bei den Themen Ableismus, Rassismus oder Transfeindlichkeit. So legen wir die Grundlage für neue Bündnisse und stärken alte Allianzen.
Wir laden euch ein, universell solidarisch zu sein, auch wenn es zu Beginn vielleicht ungewohnt ist, nicht entlang von einfachen Gut-Böse-Schemata zu denken und zu handeln. Wichtig bleibt, Betroffenen zuzuhören und ihnen zu glauben.
Wir laden euch dazu ein, Gleichzeitigkeiten und Widersprüche auszuhalten und trotz Mehrdeutigkeit und Unsicherheit solidarisch zu handeln.
Wir laden ausserdem ganz konkret dazu ein, euch unser Podium vom 9. Juni online anzuschauen. Es ist für uns ein Startpunkt für diese wichtige Debatte, die in unseren Communities fortgeführt werden muss.